Annelie Wendeberg: Schreiben mit dreckigen Fingern

Kurze Beschreibung der Persönlichkeit, die nominiert wird

Annelie Wendeberg

Es gibt so Menschen, für die müsste man den Plural erfinden, täte es ihn nicht schon geben. Nicht, weil sie schizophrene oder multiple Persönlichkeiten sind. Einfach nur, weil sie so viele Leben in einem führen – und Energie für drei zu haben scheinen. Annelie Wendeberg ist so jemand. Entsprechend schwer ist die Dame vorzustellen.

Eine Bilderbuchostpflanze (halt, noch mal lesen: Ost, nicht Obst!) samt frecher Schnauze, mit der sie kokettiert, als sei sie aus dem Pott („Persönlichkeit? Hab ich nicht. Ick hab nur…Prollichkeit“)? Eine Professorin, die der Mikrobiologie den Rücken kehrt, um sich gleich wieder rumzudrehen und den Forschern – durchaus auch mal barfuß – beizubringen, wie sie schreiben sollten, damit auch unsereins es versteht? Eine Schriftstellerin, die in der Schule kein Englisch lernte, aber ihre „Indie-book“-Karriere mit einem dicken Wälzer auf Englisch und in Amerika begann? Eine Ökofritzin, die eine uralte Schule renoviert, ihr Trockentrennklo anpreist und ihre Hühner meuchelt. Tja, alles das – und wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Leben, von denen ich nicht weiß, denn ich kenne sie nicht wirklich. Ich habe sie nur einmal getroffen – und (Schande, Schande) noch keins ihrer Bücher gelesen. Aber ich folge ihr virtuell und mit wachsender Begeisterung.

In welcher Hinsicht hat die Persönlichkeit im letzten Jahr einen Unterschied gemacht?

Einen Unterschied? Zu wem oder was? Einen Unterschied zu anderen: Siehe oben. Nicht, dass jeder so sein sollte, wie Annelie. Die Welt wäre zwar wohl eine bessere, die Menschheit aber wahrscheinlich schon an Überhitzung verpufft.

Im Unterschied zu vorher? Wenn ich es richtig sehe, hat sie sich definitiv für die Schriftstellerei entschieden. Also, FÜR das eine, nicht GEGEN die anderen Sachen, obwohl sie die Forschungskarriere wohl wirklich an den Nagel gehängt hat. Was bleibt, ist der Wandel zwischen den Welten. Zwischen dem heute und seinen – vor allem ökologischen – Herausforderungen und der viktorianischen Welt, die sie mit der Akribie einer Naturwissenschaftlerin in ihren Anna-Kronberg-Romanen beschreibt. Was bleibt, ist der stete Wechsel zwischen der sehr fühlbaren Welt von Haus, Hof und ihrer Familie auf der einen, und der digitalen Welt auf der anderen Seite. Ich stelle sie mir gerne vor, wie sie mit dreck- und hühnerblutverschmierten Händen in die Tasten haut.

Und noch ein Wechsel zwischen den Welten: Während sie international weiterhin erfolgreich als Indie-book-Autorin agiert, ließ sie sich für Deutschland ohne Scheu von „Kiepenheuer & Witsch“ angeln.

Vielleicht ist es letztlich das, was ich besonders an ihr schätze: Sie ist absolut verbissen, aber nicht verbohrt. Eine meinungsstarke Zuhörerin.

Wie hat die Persönlichkeit es geschafft, andere anzustecken?

Genau damit. Mit dem meinungsstarken Zuhören und einer symphatischen Präsenz. Vor allem auf Facebook lebt sie den Dialog auf eine Art und Weise, wie ich es von keinem anderen Schriftsteller kenne. Absolut ehrlich, offen, herzlich diskursiv.

Ohne Scheu nutzt sie ihre Facebookfreunde zur Unterstützung ihrer Arbeit. Sei es bei der Diskussion um einen passenden Begriff aus der viktorianischen Zeit oder der Wahl des besten Buchcovers. Und das alles eingebettet in persönliche Posts über Hühner, Enten, den Hund und Selbstversorgung. Natürlich hat sie für soviel Transparenz auch bluten müssen, denn es öffnet nun mal Stalkern Tür und Tor. Aber sie hat es hinbekommen, vielleicht auch dank der vielen, die sie angesteckt hat mit ihrem Enthusiasmus und Engagement. Einem Engagement, das dem Hier und Jetzt etwa von Autorinnen in Afghanistan genauso gilt, wie dem Damals von Sherlock Holmes und Anna Kronberg.

Wer reicht den Vorschlag ein?

Richard Zinken
Verlagsmanager

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